John: System of a Down wollten niemals populär sein
System of a Down wollten niemals populär sein
München (rpo).
Für ihre unkonvetionelle und anarchistische Musik ist das armenisch-amerikanische Quartett System of a Down bekannt. Es rockt wie keine andere Band. Mit seltsamen Bärten, schrägem Humor, sozialem Engagement und einer Menge Selbstbewusstsein veröffentlichen System of a Down jetzt mit "Hypnotitze" den zweiten Teil und würdigen Nachfolger ihres Konzeptwerkes "Mezmerize".
John Dolmayan spricht im Interview über Songauswahl, Auseinandersetzungen innerhalb der Band und den Erfolg.
Zwischen beiden Alben liegen gerade mal sechs Monate. Stammen alle Songs aus der Aufnahmesession im Herbst 2004 mit Rick Rubin, oder seid Ihr fleißige Workaholics?-Alle Stücke stammen aus einer Produktionsphase. Als wir begannen, hatten wir nicht das Ziel, zwei Alben aufzunehmen. Aber wir haben relativ schnell kapiert, dass wir eigentlich zu viele Songs haben, die wir veröffentlichen wollen. Es macht keinen Sinn, mehr als anderthalb Stunden Musik unter einem Titel zu veröffentlichen. Also haben wir uns dazu entschlossen, das Album in zwei Teile zu splitten.
Der erste Track von "Mezmerize" hieß "Soldier Side Intro", der letzte Track von "Hypnotize" jetzt "Soldier Side Outro". Erklärst Du uns das Konzept und was beide Alben verbindet?-Das sind wie bei einem Buch die beiden Kapitel, die die Story zusammenhalten. Es gibt eine Kontinuität vom ersten bis zum letzten Song. Wenn du deine Fantasie benutzt, entdeckst du eine Geschichte in diesen Songs. Die ist natürlich für jeden Menschen anders, aber sie existiert. Für uns ist dieses Konzept wie Pink Floyds "The Wall".
War es schwer, eine Auswahl zu treffen, zu beschließen, welche Songs warten mussten?
-Was meinst du, wie schwer es erst war, jene Songs auszusortieren, die es nicht mal auf beide Alben geschafft haben! 15 Stücke, insgesamt. Das ist, als ob du deine Kinder enttäuschen musst, dass nur einige von ihnen studieren dürfen. Aber wer darf und wer nicht? Daron hat einen ganzen Monat gebrütet und Listen geschrieben, welche Songs zusammen einen Sinn ergeben. Eine harte Entscheidung. Besonders, wenn du bedenkst, dass manche Bands in einem Monat ein ganzes Album aufnehmen! (lacht)
Eure Musik hinterlässt eine Menge Fragen und erschließt sich erst mit mehrmaligem Hören. Liegt darin der Reiz von System of a Down?
-Wir sind keine einfache Band, ich weiß. Dieses Album muss man mindestens fünfmal hören, um es vielleicht ansatzweise zu verstehen. Und selbst wir waren uns nicht hundertprozentig im Klaren, was wir da für einen Klotz gehauen haben. Aber wenn sich eine Platte komplett beim ersten Mal erschließt, kannst du sie ziemlich schnell vergessen. Musik muss wie ein Bild sein, in dem du immer wieder neue Details entdeckst. Bei uns gibt es keine Kompromisse: Entweder man liebt oder hasst uns. Und genau so sollte es auch sein. Denn beide Reaktionen besitzen Leidenschaft und Kraft.
Ihr habt stets Komplimente für eure Instrumentierung bekommen, für verschachtelte Beats oder rasante Metal-Gitarren. Bei diesem Album verdient der Gesang besonderen Applaus.
-Stimmt. Da passieren eine Menge toller Harmonien. Es geht immer nur um die Musik. Jeder Einzelne von uns könnte noch wesentlich mehr am Instrument machen, aber letztlich zählt nur der Song. Wenn du in einer Band spielst, musst du selbstlos sein. Durch den Gesang sind wir einen Schritt weiter gekommen. Darons und Serjs Stimmen ergänzen sich fantastisch. Wie Violine und Cello ergeben sie ein wundervolles Klangbild.
Songs wie "She's Like Heroine" oder "Vicinity Of Obscenity" haben fast schon opernhafte Züge …
-Ich erzähl' mal eine witzige Geschichte: Als wir "Vicinity Of Obscenity" aufnahmen, liebte Rick Rubin (der Produzent) diesen Song. Als wir ihn arrangierten, spielten wir ihn 20 Mal hintereinander. Rubin hatte den ganzen Tag Kopfschmerzen und wollte die Nummer nie wieder hören. Der Song ist unglaublich schwierig anzuhören. Probiert es aus. 20 Mal hintereinander! (lacht)
Je unstrukturierter und freier Musik klingt, desto mehr Input steckt meist in ihr. Kannst Du uns den Arbeitsprozess von System of a Down beschreiben?
-Es ist ein langwieriger Prozess. Daron bereitet die meisten Songs vor und wir bereiten die Ideen in einer langen Vorproduktion vor. Es dauert in etwa ein Jahr, bevor wir mit 40 bis 50 Stücken ins Studio gehen. Dort ist mit diesen Songgerüsten alles möglich. Wir lassen uns treiben und versuchen alles natürlich aus uns heraus fließen zu lassen.
Allerdings soll es bei Euch auch schon handgreifliche Auseinandersetzungen gegeben haben ...
-Nicht bei den Aufnahmen zu diesem Album. Zu "Toxicity" schon. Daron und ich haben uns geprügelt, bis wir am Ende beide im Krankenhaus landeten. (lacht) Aber danach waren wir total kreativ. Manchmal ist so eine Auseinandersetzung fruchtbar.
Diesmal war das aber nicht notwendig?
- (lacht) Nein. Damals waren noch Drogen im Spiel. Daron war nicht ganz auf der Spur und ich hatte nicht die Geduld für seine Probleme. Ich wollte arbeiten, wollte vorankommen. Ich weiß heute nicht mal den Grund, warum wir uns geprügelt haben. Aber so ist das eben unter Brüdern: Wir sind uns wichtig. Wir sind leidenschaftlich. Wir kämpfen. Seit dem stehen wir uns näher, denn je.
Zu "Mezmerize" hattet Ihr einen Song in einem Raum voller akustischer Gitarren aufgenommen, damit diese mitschwingen, und das auf die Aufnahme übertragen. Gab es weitere außergewöhnliche Klangkonzepte?
-Das hättest du sehen sollen: Daron hat hunderte Gitarren in einem Raum aufgehängt und seinen Verstärker in der Mitte des Raumes aufgestellt. Anstelle, dass die Wände den Sound reflektieren, haben es diese Gitarren getan. Tolle Idee. Ansonsten haben wir in Rick Rubins Haus aufgenommen, mitten im Wohnzimmer. Angeblich spukt es in seinem Haus. Ich hab nie was gemerkt, aber unser Bassist vergnügte sich eines Nachts mit einem Mädchen auf dem Sofa, als das Licht zu flackern anfing. Er hielt es für einen Scherz von uns, das war es aber nicht! Jedenfalls hat es dem Mädchen nicht gefallen. Es hatte Angst und ist nach Hause gefahren.
Ihr sagt, Ihr hättet Euch "anpassen können, um mehr Platten zu verkaufen, stattdessen wurdet Ihr noch seltsamer." Kannst Du verstehen, wie Ihr mit so einem wilden Stilmix tatsächlich Platz eins der amerikanischen Billboard Charts erobert habt?
-Überhaupt nicht. Wir sind eine Band, die eigentlich unmöglich populär sein kann. Wir verstehen es selbst nicht. Wir haben Preise gewonnen und goldene Schallplatten verliehen bekommen und nicht die geringste Ahnung, warum, denn wir haben ja alles getan, um das zu verhindern.
22 Nov 2005 by DaGrave
Wer die Enge seiner Heimat begreifen will, der reise. Wer die Enge seiner Zeit ermessen will, studiere Geschichte.